Beziehung zwischen dem Selbst und Gott

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„Meine Vorträge in England und Deutschland“ (orig.: „My lectures in England and Germany“)

Von Dr. Svami Bhakti Hridaya Bon Maharaja

(Vortrag gehalten im Psychologischen Club, 39. Grosvenor place, London, S.W.I. Am 5. Dezember 1933 um 18 Uhr, Herr John Collier war der Vorsitzende.

Herr Vorsitzender, meine Damen und Herren,

Es scheint, als seien in letzter Zeit in einigen Kreisen des Westens, viele philosophische Vereinigungen aus dem Boden geschossen. Die Psychologie auf der weltlichen Ebene beschäftigt sich mit der mentalen Funktion der gefallenen Seelen. Der Geist selbst ist wandelbar, das dürfen wir nicht vergessen. Erkenntnis, Wille und Emotion sind die drei großen Fakultäten, die Sie alle mehr oder weniger kennen. Geistiges Heilen hat für einige in diesem Land einen besonderen Reiz, auch Okkultismus, Spiritismus, und viele andere kleine oder große Gruppen, denen ich begegnet bin, seit ich nach England gekommen bin.

Der Mystizismus hatte in Indien einige Jahre lang einen ziemlich großen Einfluss auf weite Kreise von gewöhnlichen Männern und Frauen ausgeübt, und diese aufrichtigen Menschen haben herausgefunden, dass diese mentalen Phantasien praktisch eine wertlose intellektuelle und abstruse Prostitution und mechanische Meditationen ist, bestehend aus körperlichen Darstellungen von vorübergehender geistiger Konzentration. Im Namen der Religion und der Philosophie sind die Menschen im Westen darauf bedacht, etwas zu haben, was sie 'praktisch' nennen, d.h. etwas, das mit unseren physischen Sinnen gesehen oder berührt werden kann, oder etwas, das spürbar gefühlt werden kann. Der Westen hat, denke ich, eine gewisse Anziehungskraft für solche mystischen Darstellungen.

Die eigentliche Religion ist absolut verschieden von allem, was in den Bereich unserer sinnlichen Untersuchungen gebracht werden kann. Die absolute Wahrheit lässt sich weder mit den physischen noch mit den mentalen Sinnen innerhalb der vier Wände der vergehenden Zeit und des begrenzten Raums untersuchen.

Wenn wir also aufrichtig den Wunsch haben, über die wahre Natur der Religion, die uns allen gemeinsam ist, zu erfahren, seien wir Engländer oder Deutsche oder Inder, dann müssen wir zuerst feststellen, meine Damen und Herren, wer wir sind. Der größte Mangel in uns ist, dass wir nicht wissen, was wir eigentlich sind. Kann es etwas Demütigenderes geben als dies? Wir sind stolz auf unsere hohe Abstammung, unsere große Gelehrsamkeit, unseren unermesslichen Reichtum und unsere vielversprechende Jugend, und doch tappen wir völlig im Dunkeln, bezüglich eines klaren Konzepts unserer natürlichen Beschaffenheit. Gegenwärtig befinden wir uns alle in einem anormalen Zustand der Existenz. Unser Leben ist Vergessen. Die Welt schreitet vielleicht in jedem Bereich unseres gegenwärtigen Lebens voran. Aber man wird uns für verrückt erklären, wenn man uns glauben macht, dass der scheinbare Fortschritt der Welt in Wirklichkeit ein tödlicher Rückschritt ist. Jeden Augenblick weichen wir von der Mitte ab. In Jedem Augenblick wird das reine Konzept von der wahren Natur unseres ewigen Daseins in die Tiefen der selbstvergessenen Selbstverliebtheit begraben - was für eine Schande!

Wir alle wollen Glückseligkeit - ewige Glückseligkeit. Aber haben wir sie gefunden? In diesem Leben verbinden wir all unser Erkenntnisvermögen mit unserem Willen, um die Zukunft der Glückseligkeit anzustreben. Aber wenn unsere Erkenntnis auf die Begrenzungen der weltlichen Zeit und des weltlichen Raums beschränkt ist, wird unser Wille traurig enttäuscht sein, weil er nicht in der Lage ist, die Region der dauerhaften, alles durchdringenden Glückseligkeit zu erreichen. Wenn wir unseren Standpunkt auf flüchtige Plattformen einnehmen, wie können wir dann erwarten, die immerwährende Kontinuität des Objekts, das wir suchen, zu erreichen?

Wenn unsere individuellen Persönlichkeiten innerhalb der Begrenzung von Zeit und Raum geformt werden, wird es uns nicht möglich sein, ihre Grenzen zu überschreiten. Wenn wir uns mit irgendeiner Entität dieser weltlichen Atmosphäre identifizieren, gelingt es uns nicht, uns von der vorübergehenden Relativität zu distanzieren. Um also die hohen Mauern der Zeit zu überwinden, dürfen wir nicht die Hilfe von jemandem suchen, der ebenfalls durch die Fesseln solcher Begrenzungen gefesselt ist. Wenn wir erkennen, dass keine weltliche Hilfe uns über die Grenzen von Zeit und Raum hinweg in die Region der Ewigkeit bringen kann, beginnen wir die absolute Notwendigkeit zu spüren, mit der Höchsten Persönlichkeit Gottes, die frei von allen begrenzten Unterscheidungen ist, in Verbindung zu treten.

Mit diesem Ziel vor Augen sollten wir nicht vorschnell in den Himmel der idealistischen Gedanken springen, um dann herunterzufallen und uns dabei die Glieder zu brechen. Wahrlich weiser werden wir sein, wenn wir unsere ganze gegenwärtige mangelhafte Relativität in Beziehung zu Gott aufgeben. Wenn wir zu Idealisten werden, müssen wir uns im unendlichen Raum aufblähen, ohne irgendeine relative Frage zu berücksichtigen. Dabei ignorieren wir den Faktor Zeit. Wir verlieren den Punkt der Neutralität. Wir dürfen keinem halluzinativen Gedanken nachgeben. Wenn unser Erkenntnisvermögen richtig auf die Wirklichkeit ausgerichtet ist, können wir nicht anders, als uns bedingungslos Gott hinzugeben. Die Abhängigkeit von Gott ist die ewige Unabhängigkeit eines jeden befreiten Wesens.

In dieser Welt verbinden wir uns entweder mit Genuss oder mit Entsagung. Aber im Grunde hilft uns beides auf lange Sicht nicht weiter. Deshalb sollten wir uns von beiden Wegen sorgfältig abgrenzen. Grandiosität und Askese sind zwei mächtige Mauern, die den Weg zur vollkommenen Hingabe versperren.

Askese ist eine subtile Form eines großen Vergnügens. Eine freudige Gemütsstimmung ist einer reinen Seele nicht angemessen. Die Höchste Persönlichkeit Gottes ist der alleinige Genießer. Wenn es viele Meister oder Genießer gibt, wird es Eifersucht, Streit und Zwietracht geben. Die Welt ist voll von all diesen Dingen. Aber in Gottes Königreich ist Er der einzige Besitzer; empfindungsfähige und nicht empfindungsfähige Wesen sind Sein Eigentum. Daher gibt es keine Feindseligkeit, sondern die ewigen Faktoren sind Liebe, Freundlichkeit und Harmonie.  Alle Wesen haben denselben Zweck – und eine gemeinsame Ursache - den Dienst zum all-gemeinsamen Herrn der Liebe und Schönheit. Gott ist eine ewige göttliche Person und Seine Persönlichkeit sollte nicht anthropomorphisiert werden. Wir brauchen Gott nicht in einer pantheistischen Stimmung zu stören, wenn wir versuchen, ins Unendliche zu gehen. Gott ist keine unpersönliche, neutrale Substanz. Lassen wir nicht zu, dass unser fehlerhaftes Wollen das positive Wesen Gottes entstellt. Die bittere Erfahrung unseres bedingten Lebens gibt uns oft die Tendenz zu solchen selbstmörderischen Vorstellungen. Die unaufhörlich glückselige, alles durchdringende, ewige Persönlichkeit Gottes ist das Reich der vollen Erkenntnis, des Willens und der Hingabe. Völlig demütiger Dienst zu dieser transzendentalen Höchsten Persönlichkeit Gottes, in deren Person sich Erkenntnis, Wille und Emotion in ihrer Gesamtheit manifestieren, wird Bhakti oder Hingabe genannt.

Unser sich ständig veränderndes unendliches Wollen, Erkennen und Fühlen sollte sich mit Seinen vollen Willen-, Erkenntnis- und Emotionen vereinen. Dies ist möglich, wenn wir unser eigenes Selbst, so wie wir sind, in unserer wahren Natur erkennen, wenn wir uns als endliche, vorherrschende Teilwesen erkennen, die für Seinen ewigen Dienst bestimmt sind, und wenn wir uns tatsächlich mit Seinem Dienst unter der Führung Seiner Höchsten Geliebten verbinden.

Wenn wir unser gegenwärtiges Selbst analytisch untersuchen, stellen wir fest, dass wir eine unbelebte Physis haben, die von unserem Geist geleitet wird. Der Verstand nimmt die Hilfe von afferenten und efferenten (empfangenden und reagierenden Anm. d. Trans.) Sinnen an, die geeignet sind, mit den Objekten dieses Universums in Berührung zu kommen. Wir fühlen, dass wir ein Bewusstsein haben und sonst nichts. Unsere Beziehungen zu allen empfindungsfähigen und empfindungslosen Objekten des Universums sind auf die zeitliche Welt beschränkt. Aber wir sind keine Wesenheiten, die wie Seifenblasen enden - wenn wir die Beständigkeit unserer individuellen Persönlichkeit bewahren wollen, dürfen wir uns nicht mit solch einer veränderlichen Situation befassen. Die Objekte des Universums hängen in ihrer Existenz nicht von unserem individuellen Selbst ab. Daher können wir auch nicht sicher sein, dass wir Erfolg haben, wenn wir uns mit solchen zeitlichen Beschäftigungen befassen.

Als Nächstes können wir unsere Willenskapazitäten nicht optimal und angemessen nutzen. Unsere gegenwärtige Subjektivität, die in den feinstofflichen und grobstofflichen Körpern eingeschlossen ist, ist ebenfalls von wandelbarer Natur. Unsere Subjektivität wird heute fälschlicherweise mit einem bewussten Geist identifiziert. Aber können wir uns, meine Damen und Herren, vollständig auf unseren Verstand verlassen? Unser Geist verändert sich. Wir alle wissen das. Mein Geist und Verstand aus dem zehnten Lebensjahr haben sich in meinem fünfzehnten Lebensjahr gründlich verändert, er hat sich wieder verändert und er wird sich jeden Augenblick verändern, und zwar bis zum Tod. Wie können wir uns also auf einen so trügerischen Verstand und seine Spekulationen verlassen? Aus all diesen Gründen ist es niemals wünschenswert, dass wir zu sehr mit äußeren Dingen beschäftigt sind. Unsere wechselhaften Sinne müssen beherrscht werden, damit sie sich nicht zu sehr mit den äußeren Objekten beschäftigen. Unsere wechselhaften Sinne müssen von ihrem Bestreben nach weltlichen Objekten abgehalten werden. Die Versuche unserer physischen und mentalen Sinne sind immer fehlerhaft.

Wir können die Mängel von Zeit und Raum nicht beseitigen. Und wie können wir das anstellen? Der einzig mögliche Weg, der uns zu diesem Zweck bleibt, ist sich Gott zu unterwerfen. Diese Unterordnung ist die ewige, wahre und normale Funktion des Wissens, Wollens und Fühlens unseres wahren Selbst. Der Geist hat sich unglücklicherweise ihrer ermächtigt und lenkt sie auf wandelbare Objekte der weltlichen Zeit und des weltlichen Raums.

Wenn wir die Funktionen des Geistes unter die Lupe nehmen, erkennen wir bald, dass sein Tätigkeitsfeld vollständig auf die Phänomene beschränkt ist. Die Eigenschaften der manifestierten Phänomene sind mit Sicherheit von ganz anderer Natur als die Höchste Persönlichkeit Gottes. Er ist das alleinige Zentrum von allem. Jedes andere Objekt folgt seinen normalen Gang auf dem Umlauf des Kreises oder des Ganzen. Alle unstabilen Positionen müssen auf Gott zurückgeführt werden.

Unser absoluter Charakter wird in demselben Maße verstümmelt, in dem wir uns vom Zentrum, Gottes entfernt haben. Wir müssen die Spur zu unserer Stellung zurückverfolgen. Unser wahres und richtiges Selbst ist völlig unabhängig von unserer sterblichen Hülle aus Fleisch und Blut und dem subtilen Körper des Geistes, der gegenwärtigen fehlerhaften Intelligenz und dem falsch identifizierten Ego. Unser ewiges Selbst ist ein abgetrennter winzig kleiner Teil Gottes. Daher sind wir ewige Wesen. Wir werden niemals erschaffen und werden niemals zerstört werden. Unsere physischen und mentalen Körper werden erschaffen und uns vorübergehend gegeben, daher sollten sie einmal zerstört sein, auch von uns verlassen werden. Wir sollten ihnen nicht zu viel Bedeutung beimessen. Wir sind im Wesentlichen ewige und spirituelle Wesen, und unsere ewige Funktion ist nichts anderes als der uneingeschränkte Dienst zu Gott. Die Liebe ist die wahre Natur dieses Dienstes.

Gott muss nicht durch die Ausübung unserer schwachen Willenskraft als ein neutrales Objekt beschrieben werden. Wir sollten auch nicht versuchen, den Herrn der göttlichen Liebe von Seinem Gegenganzes zu isolieren, das sich in Seinen transzendentalen Gefährten, Eltern, Freunden und Dienern manifestiert. Wir sollten uns nicht als töricht erweisen, meine Damen und Herren, indem wir uns von der Höchsten Persönlichkeit Gottes abtrennen - wir sollten uns nicht mit falschen Eitelkeiten eines Lagerlebens in dieser wechselhaften Welt aufplustern, wir sollten uns nicht zum Narren machen, indem wir nicht wirklich wissen, was wir wirklich sind. Wir sind alle ewige Geweihte Gottes und der liebende Dienst zu Ihm ist unsere einzige Aufgabe.

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