„Klopfet an, so wird euch aufgetan“ (NT, Lukas 11.9-10 Anm. d. Übers.) so heißt es in der Heiligen Bibel.
Lass uns mal sehen, was das bedeutet. Wir können sofort sagen, dass die durchschnittlichen Leser der Bibel diesen Vers in einem ganz anderen Licht verstehen als die indischen Transzendentalisten.
Die offensichtliche Bedeutung von diesem Text, und das ist die Interpretation fast aller Menschen, lautet, - dass, wenn wir uns geduldig und beharrlich bemühen, dann können wir unser Ziel erreichen und unser gewünschtes Objekt erwerben. Da wir die Mittel haben und es innerhalb unserer Reichweite liegt, liegt es also ganz bei uns, das ersehnte Objekt zu bekommen. Nichts anderes zählt, um unser Verlangen zu erfüllen.
Wir geben zu, dass an der obigen Erklärung viel wahres dran ist und in fast allen Fällen mehr oder weniger zutrifft.
Wir müssen jedoch sagen, dass in dieser Aussage nicht die ganze Wahrheit liegt. Obwohl diese Interpretation in Bezug auf die Bemühungen um weltliche Dinge teilweise akzeptiert werden kann, kann sie im Fall von spirituellen Angelegenheiten so nicht zugelassen werden; darüberhinaus wurde die obige Wahrheit in Bezug auf die spirituelle Wahrheit ausgesagt.
In welcher spirituellen oder materiellen Sphäre auch immer die obige Aussage angewendet werden mag, in seiner populären Interpretation wird ein Faktor im Allgemeinen leider ignoriert – das ist derjenige der die Tür öffnet.
Die Bemühungen, in unterschiedlichem Ausmaß und mit unterschiedlichen Methoden zu klopfen, liegen zweifellos bei jeder einzelnen Person. Aber das Urteil der Richtigkeit, Ernsthaftigkeit, Intensität und Aussagekraft der Methode, sowie die Freiheit darauf zu reagieren, hängt jedoch ausschließlich von der Barmherzigkeit des Hausherrn hinter der Tür ab, in dessen Händen sich der Schlüssel befindet.
Der Herr kann aus seiner Güte heraus antworten. Er kann die Tür öffnen und den Anklopfenden hereinlassen. Er kann ihm Dinge zeigen, und ihm alles geben, was er möchte. Der Anklopfende kann klopfen und bitten so lange er möchte, jedoch liegt es am Herrn ihm Gehör zu schenken und ihm zu öffnen oder eben nicht. Der Herr hat in dieser Angelegenheit die absolute Freiheit und Autorität. Er kann auch nicht die Tür aufbrechen und sich so Zutritt verschaffen. Selbst in dieser materiellen Welt wird es vielleicht einem von hunderten gelingen eine fremde Türe aufzubrechen. Ganz zu schweigen, wenn man dann versuchen möchte das Tor zum transzendentalen Reich des Herrn aufzubrechen?
Die Bemühungen der sterblichen Wesen erreichen das Himmelstor nicht so leicht. Um die wahre Bedeutung der oben zitierten Passage richtig zu verstehen, müssen immer zwei Dinge berücksichtigt werden, nämlich die Freiheit eines Individuums, zu klopfen und zu beten und die absolute Freiheit des Herrn, Barmherzigkeit zu zeigen.
Wir sind freie bewusste Wesen und können frei entscheiden, ob wir etwas tun wollen oder nicht. Wenn wir die richtige Wahl treffen und den richtigen Weg gehen, werden wir aufblühen und glücklich werden, ansonsten werden wir leiden. Wir können uns dafür entscheiden, die Wahrheit zu erkennen und können zum Herrn beten, dass Er sie uns offenbart. Aber unser Wunsch und unser Gebet, sollten aufrichtig und leidenschaftlich sein, und unsere Bemühungen müssen auf das richtige Ziel gerichtet sein. Unsachgemäße Methoden und fehlgeleitete Bemühungen führen nur zu Enttäuschungen.
An der Stelle entsteht jetzt die Notwendigkeit sich einem Experten, der die Wahrheit kennt und ein angemessenr Führer sein kann, zu unterwerfen und ihn um Hilfe zu bitten
Er kennt die richtige Methode - die wiederum die ewige Methode ist - und ist kompetent, den aufrichtigen Suchenden richtig zu beraten und zum endgültigen Ziel zu führen. Unsere individuelle Freiheit wird durch die Unterweisung und Führung eines Experten, den wahren Präzeptor nicht ausgeschlossen. Sie impliziert eher die richtige Anwendung der Freiheit.
Es ist unsere freie Wahl, uns ihm zu unterwerfen, um wahre und ewige Freiheit zu erlangen. Die Erkenntnis der Wahrheit ist die höchste Freiheit.
Dieser Gehorsam einem guten Präzeptor, bzw. Experten gegenüber, bleibt bestehen, auch wenn wir die Wahrheit gefunden haben.
Die Absolute Wahrheit oder Gottheit offenbart sich immer selbst, das heißt, sie antwortet durch den geeigneten Lehrer, der auf derselben transzendentalen Ebene mit Ihm Gemeinschaft hat, und sein ewig verbundenes Gegenstück ist. Da wir uns in dieser begrenzten Welt mit begrenzten Kapazitäten befinden, reichen unsere armseligen Bemühungen nicht aus um die weltliche Begrenzung zu transzendentieren. Es ist die Barmherzigkeit und Hilfe des geeigneten Lehrers, der ewig die Rolle des Erretters spielt und unsere Bemühungen akzeptiert und ergänzt und sie bis zu den Heiligen Füßen Gottes weiter reicht.
Unser Klopfen erreicht die Tür nur durch den Präzeptor -den Erretter. Die praktische Bedeutung unseres Klopfens ist ernsthafte und vollständige Gehorsam und Hingabe zu den Füßen des von Gott gesandten Erretters, auf dieser Erde. Dann und nur dann haben wir richtig und sicher angeklopft. Jetzt können wir wirklich und ziemlich sicher eine Antwort erwarten, und auch die Antwort macht sich jetzt auf den Weg zu uns. Aufrichtigkeit und Ernsthaftigkeit werden je nachdem Verhältnis der Hingabe zum Präzeptor festgelegt. Es mag jetzt Gott gefallen, die Tür zu öffnen-- Es ist eine Tatsache , dass unter solchen Umständen, bzw. dem vollendeten Gehorsam, Gott antwortet und dem leidenschaftlichen Jünger die Tür zu Seinem Mysterium und Seiner Schönheit aufreißt.
Ihm steht es absolut frei, Barmherzigkeit zu zeigen und die Tür zu öffnen, doch wenn der geeignete Lehrer oder der Retter die unterworfene Seele bis zur Tür mitnimmt und zu seinen Gunsten appelliert, dann wird Gott sein Privileg zurückhalten und den Gottgeweihten mit seiner unendlichen Barmherzigkeit der Offenbarung segnen. Dies ist gemeint, wenn man sagt, dass Gott, der Absolute Herr des Universums, Sich Seinem Gottgeweihten (ihren Wünschen) unterwirft.
So klopft man richtig an und die Tür wird sich öffnen. Indische Transzendentalisten, wahre Gottgeweihte verstehen den oben zitierten Text der Bibel nur in diesem Sinne – was wirklich die wahre Bedeutung des Textes ist.
Es wird in den srutis erklärt:- Wahrheit ist nicht durch bloße mentale Spekulation erreichbar, weder durch außerordentliche Verdienste noch durch umfangreiches Lernen. Die Wahrheit kann nur von dem erreicht werden, den die Wahrheit erwählt, d.h. Er freut sich zu bevorzugen. Zu ihm (dem Begünstigten oder dem Auserwählten) offenbart sich die Wahrheit (Kat. Upa 1-2-23).
Es ist für ein gewöhnliches Geschöpf nicht möglich, dieses Ziel unabhängig von der Anweisung und Unterstützung des geeigneten Lehrers zu erreichen. Das Geheimnis des erfolgreichen Klopfens und Gebets ist einem gewöhnlichen Menschen unbekannt, da es sich um etwas handelt, das zu einer Ebene jenseits dem Geistigen und darüber gehört und alle gewöhnlichen menschlichen Verständnisse übertrifft. Auch wenn es noch so viele geistige Aktivitäten sind und weltliches Studieren, beides hat keinen Nutzen, um die Dinge der spirituellen Ebene zu verstehen. Dementsprechend ist eine bestimmte Richtung der Disziplin unabdingbar notwendig, um sich für die Aufnahme in das himmlische Königreich zu qualifizieren, um zu lernen, wie man sich über die Ebene der geistigen Existenz erhebt, um ewig auf der spirituellen Ebene zu leben.
Der wahre Lehrer - der spirituelle Führer - kann einen Menschen trainieren und befähigen, sich über die sterbliche geistige und körperliche Existenz zu erheben, so dass der Mensch das Tor der Wahrheit erreichen und richtig anklopfen kann.
Wie oben gesagt wurde, befindet sich dieser gute Lehrer, obwohl er im menschlichen Gewand erscheint, und sich scheinbar wie ein gewöhnlicher Sterblicher bewegt, immer auf der spirituellen Ebene. Jedoch steigt er aus seiner Barmherzikeit in diese Welt herab. Er ist fest in der absoluten Wahrheit verankert und vollkommen kompetent, alle Fragen zu beantworten und alle Zweifel eines aufrichtigen Suchenden zu beseitigen, zu erleuchten und den Weg aufzuzeigen. Es ist der Lehrer, der den hingegebenen Suchenden emporhebt. Die einzige Bedingung für seinen selbstlosen und unschätzbaren Dienst ist die absolut selbstlose und vollkommene Hingabe des Suchenden. Natürlich kann ein so geeigneter Lehrer - ein sad guru - nicht an jeder Straßenecke gefunden werden. Jedoch ist er für einen aufrichtig Suchenden immer verfügbar. Durch die unendliche Barmherzigkeit Gottes ist er immer da, um solchen Suchenden zu helfen. Und es ist ein sehr merkwürdiges geheimes und unergründliches göttliches Gesetz, dass ein solcher Lehrer nur von einem ernsthaften und aufrichtigen Suchenden und keinem anderen erkannt wird. Desweiteren gibt es ein anderes Gesetz, das besagt, dass, wann immer der barmherzige Gott geneigt ist, Sich zu offenbaren (Wahrheit) tut Er das über den acharya, den guten Präzeptor, der sein vertrauenswürdiger ewiger Diener ist. Er kreiert ein starkes Verlangen nach solch einem ācārya - dem spirituelle Lehrer, und einen aufrichtigen Glauben und das Vertrauen auf den ācārya - im Geist des Wahrheitssuchers. Wenn jemand solch einen acharya seinen Glauben schenkt, dann schön und gut. Wenn nicht, ist er dazu verdammt, lange lange in dem Netz der Dunkelheit der Unwissenheit herumzutasten, bis er dazu gebracht wird, Vertrauen in den immer barmherzigen acharya zu setzen und Schutz zu suchen. Was auch immer und wie viel auch immer dagegen gesagt werden mag, dies ist die göttliche Ordnung. Es geht nicht anders.
Der Suchende ergibt sich nun dem geeigneten Lehrer und wird sein Schüler. Auch der Lehrer akzeptiert ihn und setzt ihn auf eine Disziplin, die in eine bestimmte Richtung führt. Er ist jetzt auf dem Weg zum Tor der Wahrheit und macht mit der ständigen und uneingeschränkten Hilfe des Lehrers bei jedem Schritt Fortschritte in Richtung Ziel. Der wahrhaftige gute Lehrer bringt ihm bei, wie man sich nähert und anklopft. Dann nähert er sich allmählich, kommt und klopft schließlich an. Der Herr freut sich jetzt über seine aufrichtige und bedingungslose Hingabe und öffnet gnädig die Tür zum Reich der Wahrheit und der ewigen Glückseligkeit. Er wird aufgenommen und hier beginnt das neue, aber ewige spirituelle Leben des Gottgeweihten, indem er ununterbrochen direkt dem Herrn dient und schlussendlich mündet er in den Ozean der vollkommenen Glückseligkeit. Auch hier befindet sich der Gottgeweihte neben seinem immer barmherzigen Lehrer, der ihm ebenso großzügig alle Anweisungen und Möglichkeiten gibt, diese Glückseligkeit zu genießen.
Der Suchende lernt zuerst , wie er anzuklopfen soll und dann klopft er. Die Tür öffnet sich, und er darf hinein und sieht sich der unendlichen Wahrheit gegenüber. Die Tür fliegt auf und er findet sich im Angesicht der unendlichen Wahrheit wieder.
Dieses Licht, in dem die indischen Transzendentalisten diese Bibelstelle verstehen, wird nur diejenigen ansprechen und verständlich sein, die fest an Gott, als auch an den guten Lehrer glauben - dem wahren Diener Gottes.
[Aus dem Harmonisten oder Sree SajjanaToshani VOL. XXVII, Nr. 3, Juni 1929 von Prof. Jatindra. Mohan Ghose, M.A., B.L. ]
Gaura Hari Haribol