Die Genesis des Prinzips des Bösen

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Veröffentlicht im --The Harmonist (Sree Sajjanatoshani) VOL XXX No.6  Seite73

Herausgegeben von Paramahamsa Paribrajakacharyya Sri Srimad Bhakti Siddhanta Saraswati Goswami Maharaj

SEPTEMBER 1932

Es ist dem  Menschen nicht möglich, die reale Existenz des Bösen in dem Leben, das er in dieser Welt führen muss, zu ignorieren. Das Prinzip des Bösen existiert tatsächlich im menschlichen Geist.

Es ist nicht nur ein  unerklärlicher, spontaner Instinkt, sondern verkörpert ein sehr reales Element der rationalen Einschätzung.  In einem unangemessenen Maß, das jede Selbstbeherrschung zerstört, von den Freuden der Sinne abhängig zu sein, wird allgemein als ein moralisch verwerflicher Geisteszustand angesehen. Es ist eine Tatsache, dass wirklich jeder dazu neigt, in solch einen teuflischen Zustand zu geraten.

Asat-Sanga

Daher ist die Existenz des Bösen nicht etwas, dass lediglich imaginär und unberechenbar ist. Alle geben zu, dass sie durch ihr Verhalten das Böse verhindern und zum Besseren führen können. Es ist daher durchaus vernünftig, eine ernsthafte Untersuchung der Ursachen anzustellen, die das Auftreten des Prinzips des Bösen bewirken.

Um echte Missverständnisse in diesem Sachverhalt zu vermeiden, ist es notwendig, um fortzufahren, „das Böse im Menschen“ zu definieren. Da ist zunächst die naturalistische Auffassung, die das Prinzip des Bösen mit der fehlenden Kenntnis der physikalischen Naturgesetze gleichsetzt. Von dieser Denkschule wird das Handeln, das gegen die Naturgesetze verstößt, als böse definiert. Nach dieser Richtlinie kann das Studium der physikalischen Wissenschaften eine Person von der Notwendigkeit befreien, dem bösen Pfad zu folgen. Es wird behauptet, dass mit dem Fortschritt und der Verbreitung des Wissens der physikalischen Natur das Prinzip des Bösen schnell aus dem Leben des Menschen verschwunden ist. Im Gegensatz zu dieser optimistischen Sichtweise behaupten die Idealisten, dass kein Verhalten als wirklich gut angesehen werden kann, das nicht bestimmte Prinzipien berücksichtigt, die nicht aus der unbelebten Wirkung materieller Kräfte abgeleitet werden können.

Das Prinzip der Liebe mag es vorziehen, sogar gegen die Gesetze der physikalischen Natur zu handeln, um seinem eigenen höheren Ideal treu zu bleiben. Die Idealisten suchen in den Gesetzen, die die bewusste Aktivität des menschlichen Geistes regulieren und hervorbringen, nach der wahren Erklärung für moralisches Verhalten. Dem menschlichen Geist steht es vollkommen frei, seine eigene Richtung zu wählen. Er handelt immer mit einer bewussten Absicht. Diese Absicht zielt auf die Verwirklichung eines bestimmten Zustands seiner selbst ab, der ihm erstrebenswert erscheint.

Die naturalistische Schule geht davon aus, dass es das Ziel eines  jeden  Menschen ist, Unannehmlichkeiten zu vermeiden, die aus der Unkenntnis der Naturgesetze resultieren. Dies kann aber nicht das Ziel selbst sein. Die Kenntnis der Naturgesetze kann den Menschen nur befähigen, die Kräfte der Natur zu seinem eigenen Ziel zu nutzen. Als Mittel zum Zweck ist es sicherlich nützlich, aber der Zweck selbst wird durch die absolut freie Wahl des Einzelnen bestimmt. Wer eine Reise von Kalkutta nach London in kürtzester Zeit unternehmen möchte, dem können die schnellen Transportmittel helfen, die der Fortschritt der wissenschaftlichen Erkenntnisse zur Verfügung stellen. Aber der Fortschritt der wissenschaftlichen Erkenntnisse hat nichts mit seiner Absicht zu tun, eine solche Reise zu unternehmen. Nach Ansicht der Idealisten hat ein Mensch den Wunsch von Kalkutta nach London zu gehen, weil ihm die Bedinungen dort insgesamt  besser erscheinen, als sein Dasein in Kalkutta. Mit anderen Worten, kein Mensch ist mit seinem gegenwärtigen Zustand zufrieden und jeder wünscht sich eine Veränderung zum Besseren nach seinem individuellen Urteil. Die Idealisten definieren daher das Prinzip des Bösen als einen Geisteszustand, der ihm in Bezug auf den idealen Zustand als unerwünscht oder unwürdig erscheint. Die Kenntnis der physikalischen Naturgesetze kann zur Verwirklichung des Ideals beitragen, ist aber selbst nicht das Ideal.

Alle Schulen stimmen darin überein, dass der Zweck aller menschlichen Aktivitäten darin besteht, den wahrhaft glücklichen Zustand zu verwirklichen. Da aber das Ideal des wahrhaft glücklichen Zustandes bei verschiedenen Individuen verschieden ist und auch bei demselben Individuum zu jedem Zeitpunkt verschieden ist; erzeugen diese Unterschiede einen Interessens- und Idealkonflikt, der ihre vollständige Verwirklichung unmöglich macht.

Das, was ein Mensch in diesem Moment entscheidet, kann schon im nächsten Moment durch seine eigene Entscheidung auf den Kopf gestellt werden. Die Tätigkeit des einen wird von einem anderen als unmoralisch verurteilt, selbst wenn der erstere sich im Recht sieht. Unter diesen Umständen kann das Prinzip des Bösen nur eine vorläufige und wechselhafte Existenz haben. Aber so wie die Dinge liegen, ist keine klare Definition der Entität (das Wesen des Bösen -Anm. d. Übers.) möglich oder zufriedenstellend, aber man kann seine Eigenschaften in der oben angezeigten Art und Weise andeuten.

Dieses Prinzip des Bösen bezieht sich dann auf die besondere Natur und die besonderen Bedürfnisse eines jeden Einzelnen zu einem bestimmten Zeitpunkt. Der Mensch bevorzugt ein bestimmtes Ideal und verurteilt alle Aktivitäten, die dem nicht entsprechen. Die Kontemplation eines anderen über diese Tätigkeit macht ihn auch unglücklich.

Die Schule des Pessimismus in Indien und in anderen Ländern hat  das Beenden der geistigen Funktion als einzige Methode vorgeschlagen, um das Problem des Bösen loszuwerden. Aber die Pessimisten schlagen keinen Ersatz vor, um die Leere zu füllen. Darüber hinaus ist es unmöglich die eigene Existenz zu erhalten, wenn man die geistige Funktion beendet. Der Vorschlag kommt einem Rat zur Selbstzerstörung gleich. Wäre dies möglich, würde es sowohl das Gute als auch das Böse zerstören. Die Pessimisten schlagen nicht vor, auch das Glück/das Gute abzuschaffen. Wäre das ganze Leben wirklich reines Elend, dann bliebe jedoch auch noch die Notwendigkeit, die Mittel zum reinen Glück zu finden!

Das Prinzip des Bösen ist somit teils auf die Natur der mentalen Funktion und teils auf die Umwelt zurückzuführen. Diese beiden Umstände stehen unserem reinen dauerhaften Glück antagonistisch gegenüber. Ist es möglich, beide Umstände zu vermeiden, ohne Selbstmord zu begehen und dauerhaftes Glück außerhalb der Reichweite dieser störenden Wesen zu finden? Wir erhalten die Informationen aus den Heiligen Schriften, die uns Seelen zur Verfügung stehen. Die Information stellt der Seele, die durch die Information erwacht ist, die Umgebung zur Verfügung, damit die Seele ihre Funktion ausüben kann. Im Prozess geht die Initiative von der anderen Seite aus. Der Vorgang ähnelt dem Aufwecken eines Schläfers durch eine Person, die bereits wach ist. Die wache Person ergreift die Initiative. Im Fall der geistigen Funktion liegt die Initiative bei der Natur. Der Schlafende erlebt Träume, die ihm erscheinen, ohne dass er nach ihnen suchen muss. Ebenso kann er nur durch Initiative von außen geweckt werden. Aber wenn er einmal wach ist, ist er auch in der Lage, selbst zu handeln. In seinem Traum stellt er sich vor, dass er handeln kann, wie er will. Aber in der Tat, das  ist nicht wahr. Ein Mensch kann im Schlaf seine Gliedmaßen nicht bewegen, auch wenn er träumt, dass er sie  bewegt. Der Unterschied zwischen der mentalen  und der spirituellen Funktion ist analog zum träumenden und wachen Menschen. Es wäre richtiger zu sagen, dass die mentale Funktion im Großen und Ganzen wie ein sehr böser Traum ist und daher den Träumer zwingt, ständig zu versuchen, das damit verbundene Elend loszuwerden. Der Träumer ahnt auch nie, dass er träumt, sprich seinen Traum durch Erwachen loswerden könnte.

Die verschiedenen Spekulationen über Methoden, mit denen die Philosophen vorschlagen, das eingestandene Elend des Lebens loszuwerden, sind nicht wirksamer als die Mittel, die sich der Träumer vorstellen kann. Alle diese Spekulationen erweisen sich als sinnlos, sobald der Träumende aus seinem Traum erwacht. Die Schriften schlagen vor, alle mentalen Funktionen aufzugeben, die auf die weltliche Umgebung gerichtet sind. Dies ist für den Träumer unverständlich, da er keine andere Funktion oder Umgebung kennt und nicht kennen kann. Aber es gibt einen sehr wichtigen Unterschied zwischen einem Traum und dem bedingten Zustand der Seele. Der Träumer kann im Schlaf die Stimme einer wachen Person nicht hören. Aber die konditionierte Seele kann die Stimme der Seele hören, die nicht der mentalen Funktion, sprich der weltlichen Umgebung unterworfen ist. Die befreite Seele spricht mit der bedingten Seele in der Sprache, die sie verstehen kann, die sich aber auf die unbekannte Funktion und die unbekannte Welt bezieht. Wenn die bedingte Seele ihre Aufmerksamkeit wirklich auf das richtet, was sie von der befreiten Seele hört, kann sie aus eigener Kraft ihren Wachzustand wiedererlangen. Aber es steht ihr auch frei, dies nicht zu tun.

Evil - Wikipedia

Das Prinzip des Bösen begleitet das Prinzip des Guten in unserem weltlichen Leben. Wenn da kein Böses ist, kann es auch kein irdisches Gutes geben. Sie sind die komplementären Aspekte einer unteilbaren Funktion. Diejenigen also, die vorschlagen, das irdische Böse zu beseitigen, um das reine irdische Gute zu sichern, begeben sich in eine aussichtslose Sache Sowohl das irdische Böse als auch das irdische Gute entspringen derselben Ursache, nämlich dem gefesselten Zustand der Seele. Im nicht konditionierten Zustand gibt es weder irdisch gut noch irdisch böse. Das kann der Träumer nicht verstehen, es sei denn, er entschließt sich, aus dem Schlafzustand zu erwachen, indem er aufmerksam auf die Botschaft der Schriften hört, die ihm von freien Seelen übermittelt wird.

Die bedingte Seele kann von den Fesseln dieser Welt befreit werden, wenn sie sich entscheidet, ihre Aufmerksamkeit den Lehren der Heiligen Schriften zu schenken. So lange sie nicht der in den Schriften vorgegebenen Methode folge leistet, kann sie den bedingten Zustand nicht loswerden. In dieser Welt kann kein Mensch sein Ziel erreichen, wenn er nicht den Naturgesetzen gehorcht. Auf der Ebene der befreiten/freien Seele muss man sich auch den Gesetzen dieser Welt unterwerfen, um die Objekte der Begierde zu erlangen. Der Unterschied zwischen den beiden Welten liegt darin, dass es in dieser Welt niemals möglich ist, das zu erreichen, was wir uns wünschen, es aber in der spirituellen Welt unvermeidlich ist, dass unsere Wünsche vollständig erfüllt werden. Aber so wie wir den richtigen Weg in dieser Welt frei wählen können, so  ist die bedingte Seele nicht weniger frei die richtige oder falsche Methode an der Schwelle zum spirituellen Reich auszusuchen.

Im Niemandsland, das zwischen dem irdischen und dem spirituellen Reich liegt, tritt das Prinzip des Bösen gemeinsam mit dem Prinzip des weltlichen Guten in Erscheinung. Das ist das Ergebnis der freien Wahl der Seele, die aus ihrer unausgeglichenen Position im gesamten Schema der Existenz, sich für den falschen Weg entschieden hat.

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