( Ein Artikel aus "The Harmonist" (Sree Sajjanatoshani) Vol. XXXI, 14. Mai 1935, Nr. 18 von Prof. Nishi Kanta Sanyal M.A. Bhaktisastri)
Beginnen wir damit, den Begriffsinhalt des Wortes „Liebe“ zu untersuchen.
„Liebe“ unterscheidet sich von „Lust“. Lust bedeutet eine sinnliche Neigung, die sich rein auf das Körperliche bezieht, das Wort „Liebe“ steht jedoch nicht in Verbindung mit solch einem berüchtigten Leumund. Liebe unterscheidet sich von „Lust“ durch die Eigenschaft der Beständigkeit gegenüber einem bestimmten Individuum und der Unterordnung von Sexualität zu intellektuellen, moralischen und künstlerischen Erwägungen.
Dem Wesen nach ist sie jedoch die instinktive Anziehung zwischen Personen unterschiedlichen Geschlechts; die Liebe intensiviert und präzisiert. Das Wort „Liebe“ wird im weiteren Sinne auch verwendet, um ein Gefühl zu bezeichnen, das dem einer aktiven Freundschaft und Wohlwollen gegenüber anderen Wesen, unabhängig vom Geschlecht, sehr ähnlich ist.
Diese unsichere Konnotation (Bezeichnung, Auffassung) des Wortes „Liebe“, wird oft ausgenutzt, weil es zur Verwirrung des Themas führt, wenn das Wort als Synonym für spirituelle Aktivitäten verwendet wird. In der Vaiṣṇava-Literatur gibt es das entsprechende Wort „prema“, das ebenfalls nicht immer einen deutlichen Bezug zum Geschlecht enthält. Aber es gibt auch die Verwendung des Wortes prema insbesondere bei der sexuellen Anziehung. Der Zweck dieser kurzen Abhandlung ist es, den genauen Zusammenhang festzustellen, in dem das Wort „prema“ und seine Form, die „biraha“ oder „Liebe in Trennung“ in der Vaiṣṇava-Literatur verwendet werden.
Der Titel dieses Artikels lautet „Liebe in Trennung“. Wenn man das Wort Liebe als sexuelle Anziehung der verfeinerten Art bezeichnet, bezeichnet der Ausdruck „Liebe in Trennung“, den Zustand eines Liebhabers, der von seiner Geliebten oder umgekehrt, die Geliebte von ihrem Liebhaber, räumlich getrennt ist. Der Ausdruck „Liebe in Trennung“ bedeutet normalerweise nicht eine Trennung, die nicht durch Raum, sondern lediglich auf eine verstrichene Zeit zurückzuführen ist. Zum Beispiel gilt eine Witwe nicht als im Zustand der Trennung, wenn sie von ihrem toten Ehemann getrennt ist. Liebe in Trennung schließt daher auch die Erwartung, sowie die Möglichkeit einer Wiedervereinigung ein.
Es ist natürlich möglich, dass eine Witwe im Glauben an eine entsprechende Eschatologie* davon ausgeht, dass sie auf lange Sicht mit ihrem verstorbenen Ehemann wiedervereint sein wird. Aber solange nicht auch die sexuelle Erwartung durch eine solche Eschatologie gefördert wird, sollte der Zustand einer Witwe richtigerweise nicht als einer der Liebe in der Trennung beschrieben werden.
Wenn wir uns nun dem Gebrauch des Wortes „prema“ in der Vaiṣṇava-Literatur zuwenden, fällt uns sofort ein grundlegender Unterschied zwischen dem Konzept der Liebe, das in dieser Literatur beschrieben wird, und der Liebe in irgendeiner der eben beschriebenen Formen auf. Wenn zum Beispiel jemandem gesagt wird, dass das Singen des Namens von Kṛṣṇa dasselbe ist wie amouröse Liebe zur oder zum Geliebten, nicht im allegorischen Sinne, sondern im analogen Sinne von sexueller fleischlicher Aktivität, dann würde eine solche Aussage normalerweise als widersprüchlich angesehen werden. Was an einer solchen Aussage unverständlich ist, ist die Tatsache, dass die Trennung von Raum und Zeit völlig ignoriert wurde.
Es mag eine allegorische oder poetische phantasievolle Erkenntnis sein, aber es ist logischerweise absurd, Singen als substantielles Äquivalent für die Praktiken amouröser sexueller Aktivität zu akzeptieren. Aber dies ist der Kern der Lehre von Śrī Kṛṣṇa Caitanya, dem Religionsstifter der Göttlichen Liebe.
Seine Göttliche Gnade Śrīla Bhakti Siddhanta Sarasvatī Gosvāmī Mahārāja hat uns darüber informiert, dass Trennung in Liebe und Vollendung in Liebe auf der Ebene des Göttlichen Dienstes gleichzeitig eins sind und dass es auf dieser Ebene keine andere Erfahrung als die der reinen Freude gibt. In dieser Welt kann man nicht sagen, dass die Trennung in der Liebe gleichzeitig mit der Vollendung der sexuellen Aktivität erfolgt. Daher muss man sehr vorsichtig sein, wenn man sich in unkritischen Spekulationen über das Thema Liebe bzw. „prema“ als spirituelle Aktivität hingibt. Amouröse Aktivitäten benötigen notwendigerweise zwei Personen unterschiedlichen Geschlechts für ihre Ausführung.Es ist auch in gewisser Weise möglich, zwischen den Rollen von Mann und Frau auf dieselbe Weise zu unterscheiden. In der Vaiṣṇava-Literatur konzentrieren sich alle amourösen Aktivitäten auf Śrī Kṛṣṇa und Śrī Rādhikā.
Liebe in Trennung, gepredigt und praktiziert von Śrī Kṛṣṇa Caitanya repräsentiert die höchste Aufgabe von Śrī Rādhikā. Es ist die höchste Form der spirituellen Verehrung. Es ist die reine und vollkommene Aktivität der dienenden Seele gegenüber dem transzendentalen Liebhaber. Śrī Kṛṣṇa ist der einzige Liebhaber und Śrī Rādhikā ist Seine einzige Geliebte. Alles andere ist jeweils eine Erweiterung von Beiden. Im Bhagavata, an der Stelle des rasa-Tanzes wird der Name Śrī Rādhikā nicht ausdrücklich erwähnt; jedoch wird Ihre Persönlichkeit durch ihre Rolle der Verehrung angezeigt. Sie ist sowohl die Quelle als auch die Form aller Verehrung. Es gibt jedoch eine alternative Art der Verehrung. Diese Alternative hat ihren Ursprung und Form in māyā, der messbaren, dominierenden, genießenden Kraft, welche das direkte Gegenteil der Kraft der Verehrung ist; der Macht von Śrī Kṛṣṇa eingeschätzt, beherrscht und genossen zu werden. Die von Männern und Frauen praktizierte Liebe und Lust in dieser Welt gehören in den Zuständigkeitsbereich von māyā. Wenn wir versuchen Mann/Frau einzuschätzen, zu dominieren bzw. zu genießen, berauben wir uns selbst der Kraft von Śrī Kṛṣṇa Maß genommen, dominiert bzw. genossen zu werden. Wir stellen uns der Verehrung Kṛṣṇas entgegen. Wenn wir Śrī Kṛṣṇa nicht verehren, neigen wir dazu uns an Männern und Frauen und anderen angenehmen Dingen dieser Welt zu erfreuen. Śrī Kṛṣṇa nimmt nichts von dieser Welt, bzw. alles, was dem Bereich von māyā angehört, zu seinem Vergnügen. Es ist die reine Seele, die allein für Ihn annehmbar und Seinen Augen wohlgefällig ist.
Indem man andere Lebewesen einer Messung unterzieht, werden Gefühlslosigkeit, Ungutes und Lieblosigkeit erzeugt. Durch die uneingeschränkte Ausübung der messenden Aktivität Śrī Kṛṣṇas werden Offenheit, Ganzheitlichkeit und liebende Wertschätzung sichergestellt. Auf der Ebene der transzendentalen Verehrung gibt es keine Bitterkeit. Die Trennung zwischen Liebhaber und der Geliebten durch Raum und Zeit oder durch Missverständnisse ist an sich auf jener Ebene nicht wirklich da. Auf dieser Ebene gibt es keine anderen grundlegenden Erfahrungen als die der reinen Freude und der unzertrennlichen Vereinigung. Jedoch gibt es scheinbare Bitterkeit, ein vorübergehender Schatten, kein Ding an sich, um die bleibende Tatsache ununterbrochener Freude zu schmücken. Bitterkeit auf dieser Ebene bringt niemals Bitterkeit hervor, sondern wächst immer in die Substanz der Liebe hinein. Auf der Ebene der Sinnesbefriedigung anderer Wesen tendieren sowohl Freude als auch Schmerz zu immer größerer Bitterkeit und schlussendlich zum Zustand der Vernichtung von Freude und Existenz. Das ist die Gefahr die dem abschätzenden Vorgang innewohnt und für die Verehrung destruktiv ist. Die fehlende Erkenntnis von Transzendenz hebt den Eindruck des Zeitlichen hervor und führt zu einem vergeblichen Maßnehmen gegenüber dem unheilvollen Schatten der Wirklichkeit. Śrī Rādhikā vereint in Sich die vollkommene Kraft der Erkenntnis und die konzentrierte Essenz der Kraft Śrī Kṛṣṇas Sinnen zu dienen.
Weder Śrī Rādhikā noch die Erweiterungen Ihrer Form unterliegen dem Einfluss des Messbaren. Das Absolute Ganze - die einzige dominierende Person, ist immer damit beschäftigt, alle spirituellen Wesen abzuwägen, zu dominieren und sich an ihnen zu erfreuen. Die Göttliche Komödie wird jedoch von den vollkommenen spirituellen Kräften aufgeführt, die die Erweiterungen von Śrī Rādhikā sind - ihre Prinzipalen Ministranten. Die Aufgabe des Liebhabers ist, alle anderen Rollen zu bündeln und gleichzeitig der Anlass für deren Funktionen zu sein. Viṣṇu und seine spirituelle Kraft unterscheiden sich von den Lebewesen dieser Welt in der gleichen Weise, wie sich ein Gegenstand von seinem reflektierten Bild unterscheidet. Letzteres ist unheilvoll und die Quelle aller Bitterkeit und Unwissenheit. Im Bereich des Absoluten ist die scheinbare Unterscheidung zwischen einem Lebewesen und seinem Spiegelbild die Ursache für gesteigerte Glückseligkeit. Es gibt einen scheinbaren Zustand der Trennung im Bereich des Absoluten. Jedoch ist die Tendenz dieser Trennung in die entgegengesetzte Richtung von dem, wohin die Vereinigung und die Trennung in der sogenannten Liebe dieser Welt unvermeidlich führen. Eine Person, die begierig ist, ihre Maßstäbe anzuwenden, läuft Gefahr, Unheil einzuladen, weil sie fälschlicherweise annimmt, dass das die Anschauung der Vaiṣṇavas sei. Es ist das wesentliche Merkmal der hingebungsvollen Fähigkeit der uneingeschränkten Seele, dass sie immer die Berechtigung der überlegenen transzendentalen Kraft erkennt, die Erweiterungen der Gestalt von Śrī Rādhikā und dass sie allein fähig ist, Gott vollständig zu dienen.
Diese kognitive Verwirklichung befähigt solche ungehinderten Seelen, sich im Dienst von Śrī Rādhikā - der Kraft die allein der Befriedigung der Sinne von Śrī Kṛṣṇa dienen kann, zu engagieren. Das Modell, das von Śrī Kṛṣṇa Caitanya für die Regulierung der jivas aufgestellt wurde, ist der Dienst zu Śrī Kṛṣṇa durch den Geist der liebenden Trennung. Der bedingten Seele ist es möglich die Liebe in der Trennung zu praktizieren, unter der Führung einer vollendeten Kraft eines echten spirituellen Meisters. Dies erzeugt oder fördert keine sinnliche Aktivität was die Praxis der transzendentalen Liebe nur behindern würde.
Ein weiterer Punkt der leicht übersehen werden kann, aber sehr wesentlich ist, bezieht sich auf die Existenz von individuellen Besonderheiten in der transzendentalen Aktivität. Wenn das Absolute die Initiative bei der Bewertung spiritueller Lebewesen ergreift, führt dies zur Manifestation spirituellen Besonderheiten und Unterscheidungen der Lebewesen, wodurch die Bedingung geschaffen wird, dass die spirituellen Lebewesen individuelle Dienste leisten können.
In der materiellen Welt kann es keine individuellen Besonderheiten geben, es sei denn, sie existieren bereits in ihrer heilsamen Form im Reich des Absoluten. Sexuelle Aktivität ist aus diesem Grund im Bereich des Absoluten nicht abwesend, aber sie hat nichts mit der sexuellen Aktivität oder einer ähnlichen Aktivität dieser Welt zu tun, die durch unsere Maßstäbe vorstellbar ist.
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*Definitionen der Eschatologie: die Lehre von der Hoffnung auf Vollendung. Religion, die Lehre von den "letzten Dingen", d. h. die Lehre von Tod, Auferstehung und damit verbunden die Lehre vom Anbruch einer neuen Welt.