Dr. Svami Bhakti Hridaya Bon Maharaja
„Meine Vorträge in England und Deutschland“ (orig.: „My lectures in England and Germany“)(Vortrag, gehalten am 17. Oktober 1933 um 20.15 Uhr in der "Christlichen Studentenbewegung" am 32 Russell Square, London W.C. i. Herr Francus House hatte den Vorsitz)
Herr Vorsitzender und Freunde,
Ich gehe davon aus, dass Sie alle hier Studenten der Londoner Universität sind. Einige von Ihnen würden vielleicht gerne nach Indien reisen und die Weite unseres Landes kennen lernen.
Indien ist ein wunderbares Land mit all seinen natürlichen Ressourcen. Abgesehen von den großen Unterschieden im sozialen Leben und in der Lebensweise wird es für einen Ausländer am bemerkenswertesten sein, den hoch entwickelten Geist der durchschnittlichen Inder in ihren religiösen Gedanken zu lesen. Ein Inder kann sich viel leichter auf die Feinheiten eines philosophischen Diskurses konzentrieren als der Durchschnittsmensch in anderen Teilen der Welt.
Indische Studenten, die an den Universitäten ein fortgeschrittenes Studium absolvieren, müssen viel über die Geschichte Englands und Europas sowie über die mythologischen Bezüge lesen, die sie in den Werken der englischen Literatur finden. Mit der Offenheit ihres Geistes können sie die allegorischen und mythologischen Begriffe leicht verstehen. Mythen gibt es auch in Indien in Hülle und Fülle.
Die Schwierigkeit, mit der ein Redner über Transzendenz und Wirklichkeit konfrontiert wird, der zuerst aus Indien in den Westen kommt, liegt darin, dass die Zuhörer hier, abgesehen von einigen wenigen, deren Zahl man vielleicht an den Fingern abzählen kann, die frühe indische Geschichte kaum kennen und noch weniger über die spirituellen Gedanken des Landes Bescheid wissen. Gedanken, denen ein gewöhnlicher Inder sehr leicht folgen kann, können in diesem Land von denen, die über einen großen Intellekt verfügen, nicht verstanden werden. Die Mehrheit des indischen Volkes hat mehr oder weniger Glauben und Vertrauen in die Schriften der Hindus, und den Rednern fällt es leichter, ihren Zuhörern eine Idee nahe zu bringen, indem sie die Gültigkeit ihrer Argumente auf die Schriften verweisen.
Die Veden sind natürlich kein kleines Buch wie die Bibel, und daher ist es sehr schwierig, den Einklang in den scheinbar widersprüchlichen Aussagen zu finden, die in diesen großen Büchern enthalten sind, wenn man die allgemeine Mentalität und die Fähigkeit zum Verständnis der prinzipiellen Wahrheiten berücksichtigt.
Sie haben Ihre griechischen Mythen im Westen, und Indien hat seine eigenen Mythen. Die Mythen des Westens mögen im Osten nicht willkommen sein, wie auch der Westen indische Mythen nicht willkommen heißen mag. Griechische Mythen haben einen Platz in den theistischen Errungenschaften des Westens gefunden, aber in Indien werden Mythen immer vom Theismus ausgeschlossen. Es lässt sich nicht leugnen, dass die Literatur der indischen Sprachen eine Fülle von mythischen Schätzen enthält. Abgesehen von den spirituellen Wahrheiten muss man, wenn man in die Schatzkammer der indischen Gedanken eindringen will, die den hohen Sockel des Ruhmes erreicht haben, eine gute Kenntnis der indischen Mythen haben. Mythische und allegorische Ausdrücke sind eine Zierde der Literatur. Ein Englischstudent kann nicht erwarten, dass er die englische Literatur gut kennt, ohne mit den griechischen Mythen vertraut zu sein.
Ein Mythos ist eine sagenhafte Erzählung, die auf einem weit zurückliegenden Ereignis beruht, insbesondere aus der Frühzeit der zivilisierten Existenz eines Volkes. Offensichtlich stehen Mythen in enger Verbindung mit theologischen Spekulationen. Sie schildern die ursprüngliche Herrlichkeit eines bestimmten Volkes oder Landes. Sie versuchen, künftige Generationen dazu zu bewegen, ihr religiöses Gedankengut auf sie zu gründen. Sie lassen auch Raum für Vergleiche zwischen zwei Ländern, um die Überlegenheit des einen Landes gegenüber dem anderen herauszufinden. Die heutige Generation zieht es jedoch vor, alle Mythen als greifbare Unwahrheiten zu bezeichnen, die auf erfundenen Geschichten beruhen.
Die Welt ist eher skeptisch eingestellt, mehr als alles andere. Deshalb sind wir heute nicht darauf eingestellt, die Mythen als wahr zu akzeptieren. Sie werden von den Rationalisten pauschal abgelehnt. Die Wissenschaftler sind zu stolz, um zu glauben, dass sie die althergebrachten Darstellungen widerlegen können. Wenn alte Ideen nicht zu unseren Zielen passen, sind wir versucht, sie zu verwerfen.
Noch einmal, es gibt viele transzendentale Tatsachen, die, wenn sie sich in dieser Welt manifestieren, für unser gegenwärtiges, mangelhaftes Verständnis wie Mythen erscheinen. Wenn wir weise sind und uns nicht von unserem Dogmatismus hinreißen lassen, sollten wir versuchen, die Unterschiede zwischen Mythen und transzendentalen Realitäten herauszufinden, die zwar mythisch im Ausdruck, aber transzendental in der Essenz sind. Schauen wir, ob in den Theorien über solche angeblichen Mythen ein Mangel an ethischem Verständnis besteht. Wenn uns eine weltliche Angelegenheit zur kritischen Prüfung vorgelegt wird, haben wir natürlich das Recht, ihren Wert durch die Ausübung unserer Sinne in Frage zu stellen. Weltliche Relativität kann solche Mythen leicht beiseiteschieben.
Unsere Vorstellung von der Transzendenz ist sehr mangelhaft, und diese Unkenntnis über die Eigenschaften der spirituellen Realität drängt uns die Notwendigkeit einer ethischen Betrachtung auf. Aber unser Konzept von Ethik bezieht sich auf die wandelbaren Relationen auf der weltlichen Ebene. Die zeitweilige Natur der Welt erschwert die Kontinuität dessen, was in einem Zeitalter als erstrebenswertes ethisches Leben gilt; was in einem Zeitalter als ethisch anerkannt wird, wird in einem anderen als ethisch verleugnet - was in einem Land unter bestimmten Umständen ein ethisches Leben ist, wird in einem anderen Land in einem anderen Umfeld als unethisch angesehen.
Aber Gott ist ewig. Seine ewige Stellung ändert sich nicht im Laufe der Zeit oder variiert mit den Unterschieden im Raum. Wir dürfen nicht denken, dass Gott ein Objekt ist, das man in die Kategorie der vergänglichen Existenz einordnen kann. Gott ist nicht abhängig von der verkrüppelten Vorstellung unserer begrenzten Sinne. Er unterwirft sich nicht den menschlichen Sinnen. Unsere groben und feinen Sinne sind absolut unzureichend, um die Göttlichkeit Gottes zu begreifen.
Die Höchste Persönlichkeit Gottes kann nicht in das Gefängnis unserer Sinne gedrängt werden. Gott bleibt außerhalb des Bereichs unserer begrenzten Erfahrung und unserer geistigen Entscheidungen. Deshalb kann man Ihm, der jenseits der erdrückend beschränkenden weltlichen Konzepte der Genussmenschen steht, keine ethischen Grundsätze weltlicher Relativität auferlegen. Wenn wir uns von der Historie befreien wollen, meinen wir nicht, dass wir alle Besonderheiten, die in dieser unvollkommenen Vernunft existieren, ablehnen und beseitigen müssen; Gott befindet sich auf Seiner vollkommenen Ebene der Transzendenz, ohne in die sinnlichen Aktivitäten und in die Handlungen des begrenzten vergänglichen Objektes einzugreifen.
Ein wahrhaftiger Redner, der über Religion und Wirklichkeit spricht, hat keine Angst vor den Einwänden, die von Empirikern, allegorischen Ausbeutern und Historikern gegen die verbalen Beschreibungen der Transzendenz erhoben werden, im Gegensatz zu anderen Objekten, die untersucht werden können. Wenn wir über Gott sprechen, der jenseits der menschlichen Vorstellung liegt und mit den physischen und mentalen Sinnen nicht fassbar ist, erheben Empiristen gegen diese spirituellen Reden Einspruch. Ihr Argument lautet: Wenn Gott jenseits weltlicher Relativität ist, wie können dann die weltliche Sprache oder religiöse Prediger ihren Zuhörern die Vorstellung von Gott vermitteln? Die Antwort wird in Kürze gegeben werden. Doch zuvor sollte man noch weiter gehen und sich die Vergeblichkeit empirischer Versuche vor Augen führen: Gott ist kein Produkt mentaler Spekulation. Seine Position ist objektiv und ewig existent. Er kommt nicht in den Bereich der Sinne. Das konstruktive Naturell und Mutmaßungen sollten sich nicht so weit ausdehnen, dass sie versuchen, die Höchste Persönlichkeit Gottes in den Bereich ihrer gegenwärtigen Sinne bringen.
Aus der makroskopischen Perspektive ist Er das Große; aus dem mikroskopischen Blickwinkel ist Er im kleinsten Atom. Aber im Grunde genommen liegt Er ganz jenseits der trennenden und alles durchdringenden Methoden der Intelligenzia. Er kann mit keinem der Objekte, die die menschlichen Sinne erfassen, verglichen werden. Aber die Empfindungen, die von den manifestierten Phänomenen ausgelöst werden, können unmöglich die positive Existenz Gottes leugnen. Man darf nicht versuchen, mit seinen armseligen Anschauungen über Ort und Zeit die Stellung des Absoluten zu bestimmen. Die Unendlichkeit ist ein negativer Aspekt Gottes. Er hält sich auch ganz fern von der Historie. Die Geschichte befasst sich mit fehlerhaften Sachverhalten in einem begrenzten Zeitraum und Raum, während die Höchste Persönlichkeit Gottes ewig jenseits aller Begrenzungen residiert. Aufgrund seiner göttlichen Macht und seines Vorrechts kann Er sich in Zeit und Raum manifestieren, ohne von ihnen beeinflusst zu werden.
Die Beherrschung des Vokabulars, welches das Universum der Phänomene beschreibt, kann uns kein wirkliches Wissen über Gott vermitteln. Aber wenn der transzendentale Klang oder die transzendentalen Welten, die von den Lippen derer kommen, die ewig und im Wesentlichen mit dem reinen Dienst Gottes beschäftigt sind, in die demütigen Ohren eines empfindungsfähigen Wesens eindringen, das sich unter der nicht irreführenden Leitung einer Gott verwirklichten spirituellen Person, die im wahren Dienst Gottes beschäftigt ist, befindet, dann können wir gewiss göttliche Persönlichkeit Gottes mit all seinen Eigenschaften, Paraphernalien und Taten verwirklichen. Solche transzendentalen Worte, obwohl scheinbar gleich, müssen von den weltlichen Ausdrücken unterschieden werden, die von Menschen verwendet werden, die entweder dem Genuss oder der Entsagung ergeben sind.
Gott muss man nicht aus den Emanationen der Phänomene loslösen. Die intelligentesten Teile der Menschheit wurden mit einer neuartigen Möglichkeit gesegnet, die Schwierigkeiten zu überwinden, die uns jetzt den Weg zur Gottverwirklichung versperren. Die Höchste Persönlichkeit Gottes erscheint weder in Mythen noch in der historischen Geschichte, noch unterwirft sie sich den Sinnen.Begrenzte Objekte reagieren entweder auf sich selbst, oder ihre jeweiligen Sinne.
Historiker und geistige Phantasten haben nicht das Recht, das spirituelle Wissen zu prüfen, das von echten spirituellen Positivisten als Geschenk in die Welt gebracht wird. Gott befähigt die reine Seele, Ihn zu empfangen. Nur durch Seine Gnade kann man Ihn erkennen. Aber Lehrer mit reiner Hingabe können Ihn jenen Mitgliedern einer Zuhörerschaft vermitteln, die dem Höchsten Herrn ein substantielles Opfer darbringen können.
Solche Prediger bedienen sich notwendigerweise der Sprache und sie sind hörbar. Sie sollten jedoch nicht mit den Wegweisern oder mit dem hingewiesenen Gott verwechselt werden. Niemand kann Gott seiner ewigen Form berauben, die frei von allen weltlichen Bestandteilen ist. Die fortschreitenden Aktivitäten Gottes können nicht durch unsere mentalen und physischen Bemühungen eingeschränkt werden. Der Versuch, dies zu tun, bedeutet, den Ast abzusägen, auf dem wir sitzen. Die Sinne sind eine trübe Barriere für unseren Blick auf Gott. Wenn wir sie beseitigen können, werden wir uns sehr befreit fühlen. Gott kommt dann auf unsere Bühne. Er erscheint als das Wort oder der Klang und zeigt die Einheit des Klangs mit Seiner Person. Er ist ewig und wir sind es auch. Wie winzig wir auch sein mögen, wir sind ein Teil und eine Einheit der inneren Kraft des allmächtigen Herrn der Liebe und Schönheit.
Gott ist der einzige Genießer aller spirituellen Elemente, und ihre Liebe wird in Ihm erwidert. Dies ist möglich, wenn wir eine dienende Gemütsstimmung besitzen.
Die weltlichen Hindernisse sind dann nicht mehr im Weg, wenn wir Ihm Dienste darbringen. Wir sollten eine liebende Zuneigung zum liebenden Herrn entwickeln.
Das Konzept der Unpersönlichkeit, der allumfassende, alles durchdringende Gott, wird die Tendenz zur wahren Perspektive der spirituellen Manifestation des 'alles anziehenden Liebenden' einnehmen, wobei wir die Objekte sind, die Ihm als 'Geliebte' vertraut sind. Die Religion der Liebe ist die Realität des spirituellen Reiches, die sich im reinen Zustand des Daseins der individuellen Seele - in ihrer besonderen Beziehung zu Gott – verwirklicht.
Eine demütige Annäherung offenbart uns mit Sicherheit Seine spirituelle Manifestation, und wir werden jede Möglichkeit haben, sie durch unsere Fähigkeit zu sprechen zu beschreiben. Diese Möglichkeit, den Zuhörern transzendentales Wissen zu vermitteln, ist aber nur dann gegeben, wenn der Redner eine liebevoll dienende oder hingebungsvolle Neigung zu seinem göttlichen Meister und dem liebenden Herrn hat. Aber die Menschen dieser Welt, deren trügerische Anschauungen niemals in der Lage sind, sich der Absoluten Wirklichkeit zu nähern, sind etwas voreilig in ihrer Kritik gegenüber den Verdiensten von handelnden Menschen.
Die Richtung unseres Pfades zur Verwirklichung Gottes ist nicht auf eine bestimmte Nation oder ein bestimmtes Land beschränkt. Auf der Ebene des göttlichen Dienstes steht die Tür für uns alle gleichermaßen offen, und die Bewohner des Hauses Gottes werden uns gewiss mit aller Herzlichkeit empfangen, wenn wir uns der Tür mit dem Pass einer dienenden Haltung nähern. Die transzendentalen Klänge werden die beste Medizin sein, um uns von unserer weltlichen Stimmung zu befreien - eine Krankheit, der wir jetzt zum Opfer gefallen sind.
Solche Ausdrucksformen des transzendentalen Klanges, die den demütigen Ohren derjenigen, deren dienende normale Funktion aus ihrer schlafenden Natur erwacht ist, geistige, ewige und immer fortschreitende Tatsachen des Reiches Gottes vermitteln, mögen als Mythen erscheinen, sollten aber von Mythen unterschieden werden, die aus Geschichten phantasievoller Gehirne stammen. Beide mögen ähnlich aussehen, aber sie sind niemals identisch.