Wer ist wahrhaftig Nirmatsara?

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In seinem Kommentar im Amṛta-pravāha-bhāṣya zum Śrī Caitanya-caritāmṛta, Śrīla Bhaktivinoda Ṭhākura hat — in Bezug auf den Vers im Śrīmad-Bhāgavatam (1.1.2) beginnend mit dharmaḥ projjhita-kaitavo — eine nirmatsara-Person charakterisiert, als einen Menschen, dessen Herz voller Mitgefühl für alle Lebewesen ist. 

Gute Eigenschaften sind nur dann gute Eigenschaften, wenn sie in Beziehung zu Bhagavān stehen

Solange man nicht mit sich selbst mitfühlend ist, ist es nicht möglich, anderen gegenüber mitfühlend zu sein. Wenn sich sambandha-jñāna (das Wissen um die eigene Beziehung zu Bhagavān) nicht vollständig manifestiert hat, kann jede äußerlich zur Schau gestellte Eigenschaft, die dem Mitgefühl ähnelt, nicht als echtes Mitgefühl angesehen werden. In solchem "Mitgefühl" muss notwendigerweise Selbstsucht vorhanden sein. Erst wenn man sambandha-jñāna im vollen Ausmaß verwirklicht hat, ist man in der Lage, alle Lebewesen als Teil und Teilchen des Herrn zu sehen.   Dann wird man folgende Überlegung anstellen: „Wenn dieses Lebewesen in den Dienst Kṛṣṇas eintritt, weil ich die Fähigkeit besitze in ihm  das Kṛṣṇa-Bewusstsein zu erwecken,  dann wird mein Prabhu, Śrī Kṛṣṇa, mit mir zufrieden sein und mich mit prema-dhana belohnen. Ich werde mich also um dieses besondere Lebewesen kümmern, um meinen Herrn zu erfreuen."

Diejenigen, in denen sich sambandha-jñāna noch nicht richtig entfaltet hat, schätzen, folgen und lehren Ideologien, die in der Erlangung von dharma (Religiosität), artha (Reichtum), kāma (Sinnengenuss) und mokṣa (Befreiung) resultieren. Solche Menschen besitzen matsaratā (Gehässigkeit), sind nirmama (herzlos), und sie sind betrügerisch und grausam, nicht nur gegenüber ihren Schülern, sondern auch gegen sich selbst.

Auch wenn die Lehrtätigkeit eines solchen betrügerischen Lehrers nach außen hin höchst verheißungsvoll und frei von Grausamkeit zu sein scheint, können wir die Wahrheit in dieser Angelegenheit nur durch sorgfältiges Nachdenken erkennen.

Madhusūdana Rāya and the Rāmānandī Sādhu

In meiner Jugend, begegnete einmal mein Klassenkamerad Madhusūdana Rāya einen Rāmānandī sādhu (einen Anhänger von Śrī Rāmānanda, ein Śrī Vaiṣṇava Heiliger aus dem mittelalterlichen Indien), der mit einem Mahut auf einem Elefanten ritt. Als sie an einen Fluss kamen, fragte der Mahut den Jungen: „Wie tief ist das Wasser? Kann unser Elefant sicher auf die andere Seite gelangen?" Der Junge erwies dem Rāmānandī-Heiligen zunächst respektvoll seine Ehrerbietung und wies ihm dann mit aller Höflichkeit einen Weg, der durch einen Sumpf führte, anstatt auf eine Furt mit seichtem Wasser.

Der Rāmānandī-Heilige, beeindruckt von dem höflichen Verhalten des Jungen, vertraute ihm sofort und wies seinen Mahut an, dem von dem Jungen empfohlenen Weg zu folgen.

Kurz darauf, als meine Freunde und ich von der Schule nach Hause kamen, hörten wir die Nachricht, dass ein Rāmānandī-Heiliger, sein Mahut und ihr Elefant in einem Sumpf gefangen waren. Wir machten uns auf den Weg zum Ort des Geschehens und stellten fest, dass die Lage ziemlich ernst war. Je mehr der Mahut versuchte, den Elefanten zu bewegen, desto tiefer sanken sie in den Sumpf ein. Trotz aller Bemühungen gelang es dem Elefanten und dem Mahut nicht, sich zu befreien. Der Rāmānandī-Heilige war in Tränen aufgelöst. Als ich seinen bemitleidenswerten Zustand sah, sandte ich einen Mitschüler zu dem Landbesitzer, um ihn von dem Vorfall zu benachrichtigen. Der Landbesitzer war ein initiierter Vaiṣṇava in der Linie von Śrī Śyāmānanda. Nachdem er über die Situation informiert worden war, schickte er zwei Elefanten und einen Lastwagen, um die Gruppe zu retten. Mit großer Mühe und Anstrengung wurde der Elefant schließlich aus dem Sumpf gezogen.

Äußerlich zeigte Madhusūdana Rāya keine offensichtliche Form von Aggression gegenüber dem Rāmānandī-Heiligen, z.B. dass er ihn mit einer Schusswaffe bedroht hätte, oder ihn mit einem Messer oder Stock angreifen wollte, auch verwendete er keine vulgäre Sprache oder andere körperliche oder geistige Willkür. Doch obwohl er seine praṇāmas darbrachte und mit höflichen Worten sprach, würde kein intelligenter Mensch das, was Madhusūdana Rāya tat, als einen Akt der nirmatsaratā (Nicht-Boshaftigkeit) bezeichnen. Eigentlich wäre es besser gewesen, wenn er gar nicht mit dem Heiligen gesprochen hätte, oder wenn er seine Unwissenheit beteuert hätte, indem er sagte, dass er den rechten Weg nicht kenne und dass sie sich bei jemand anderem erkundigen sollten.

Obwohl es scheint, dass der Heilige das einzige Opfer war, wird Madhusūdana Rāya nicht für eine solche böswillige Tat büßen müssen? Wie es heißt: „Für jede Aktion gibt es eine gleiche und entgegengesetzte Reaktion." Andere mit matsara (Bosheit) zu behandeln, bedeutet, sich selbst gegenüber unfreundlich zu sein, denn man muss die Früchte seiner Handlungen kosten.

Nur nirmatsara Unterweisungen sind im bhāgavata-dharma enthalten

Nach einer sehr langen Zeit — nachdem man unzählige Male unter den 8,400,000 Spezies des Lebens geboren wurde — erlangen nur die am meisten von Glück begünstigten Seelen, die Geburt in dieser extrem seltenen menschlichen Form des Lebens.

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Nur die Menschen sind geeignet dem Pfad der Selbstverwirklichung zu folgen und die transzendentale Wohnstätte Bhagavāns zu erlangen, die das höchste Ziel ist. Aber die materielle Energie (māyā) des Herrn ist so mächtig, dass nur eine höchst rechtschaffene Seele, die eine Fülle von frommen Taten vollbracht hat, sich aus den Klauen von māyā befreien und den Wunsch entwickeln kann, den Pfad der spirituellen Verwirklichung zu beschreiten. Dies ist in der Tat sehr selten.

Wenn der guru eines solchen Menschen, bei dem er Zuflucht gesucht hat, ihn nicht dazu anleitet, dem höchsten Pfad des bhakti-yoga zu folgen - der ihn schnell zur höchsten transzendentalen Wohnstätte führen würde -, sondern ihn stattdessen in die Irre führt, indem er ihn ermutigt, entweder den Pfad von dharma, artha, kāma oder mokṣa zu folgen - die ihn alle dazu zwingen, im vierzehnfachen Planetensystem dieser materiellen Welt umherzuwandern - oder ihm rät, irgendwelche andere Pfade zu folgen die von karma, jñāna, tapa und dāna angeführt werden - die lang und anstrengend sind, voller Irrungen und Umwege, die der Suchende nicht überleben würde, dann muss eine solche falsche Führung als von matsaratā (Bösartigkeit) besessen betrachtet werden. Um das auszudrücken, hat Śrīla Bhaktivinoda Ṭhākura in seinem Kalyāṇa-kalpataru (3.1.4) geschrieben:

āre mana, ki vipada hôilo āmāra
māyāra durātmya-jvare, vikāra jīvere dhare
tāhā̃ hôite pāite nistāra

Oh, mein Lieber Geist, welch ein Unglück mich in meinem Leben traf. Ich litt an einem hohen Fieber in Form von unermesslichem Leiden, das mir von māyā (aufgrund meiner eigenen vergangenen Sünden) zugefügt wurde und das mich wie Feuer verbrannte. Ich suchte nach dem Mittel, das mich von diesem Fieber erlösen kann.

sādhinu advaita mata, ĵāhe māyā haya hata
viṣa sebi’ vikāra kaṭilô
kintu e durbhāgya mora, vikāra kaṭilô ghora
viṣera jvālāya prāṇa gelô

Um mich vom Fieber dieses materiellen Elends zu befreien, schlug ich den Weg des advaita-vāda (monistische Philosophie) ein, der dazu rät, die eigene Existenz zu beseitigen (durch das Eingehen in brahma), damit das materielle Leiden aufhört zu existieren. Indem ich dieses Gift trank, wurde ich vom Leiden befreit, aber welch ein Unglück ist daraus entstanden: Es verbrennt jetzt mein Leben.

‘āmi brahma ekamatra’, e jvālāya dahe gātra
ihara upāya kiba bhāi?
vikāra ĵe chilô bhālô, ausadha jañjāla hôilo
ausadha-ausadha kothā pāya?

Jetzt habe ich das Gefühl, dass ich mit den Leiden vorher besser dran war, als mit dieser sogenannten Medizin der māyāvāda Philosophie, Die Vorstellung, ‘Ich bin brahma’ ist noch beschwerlicher. Diese Flamme verbrennt meinen ganzen Körper. Jetzt sage mir bitte, wo ich eine Medizin finde, die dieses Brennen der vorangegangenen ‚Medizin‘ heilen kann.  Wo kann ich einen sādhu finden, der mir, wie ein Arzt, die richtige Medizin geben kann, um mich von diesem Fieber zu befreien und auch die böse Wirkung dieser falschen Medizin, die ich fälschlicherweise eingenommen habe, zu entfernen??

Der jīva ist von seiner Beschaffenheit ein transzendentales ewiges Wesen, und sein ewiges sva-dharma (innewohnende Pflicht) ist es, hingebungsvollen Dienst zum Höchsten Herrn, Śrī Kṛṣṇa auszuführen und kṛṣṇa-prema zu erlangen. Gehässige (matsara) so genannte gurus erklären ausgiebig, dass das sva-dharma des jīva aus frommen Handlungen (puṇya), nicht frommen Handlungen (pāpa) und den Handlungen, die zur Erlangung von mokṣa (Befreiung) ausgeführt werden, besteht, und deshalb ist es für einfältige Menschen äußerst schwierig, zwischen sva-dharma und anderen Aktivitäten zu unterscheiden, die ähnlich erscheinen, aber in Wirklichkeit chala-dharma (betrügerische Religion) sind:

pṛthivīte ĵata kathā dharma-nāme cale
bhāgavata kahe saba paripūrṇa chale

Jaiva Dharma (Phala Śruti 1)

Was auch immer in dieser Welt im Namen des dharma getan wird, wurde vom Śrīmad-Bhāgavatam als Betrug verurteilt.

Das Ergebnis solcher Aktivitäten ist das Erreichen eines Ziels, das dem, was man sich wünscht, entgegengesetzt ist. Sich mit karma, jñāna und Sinnesbefriedigung zu beschäftigen oder Lehren, die darauf abzielen materielle Objekte zu erlangen, ist nur Täuschung. Solche Bestrebungen fallen in den Bereich der Unwissenheit (tamo-dharma).

Nur Aktivitäten, die mit dem Ziel ausgeführt werden, wahres Wissen über liebenden hingebungsvollen Dienst zu Śrī Kṛṣṇa und letztlich kṛṣṇa-prema zu erlangen, stellen den rechtmäßigen Pfad (śreya-mārga) dar. Lehrer, die ausschließlich Anweisungen zu diesem Thema geben, sind allein nirmatsara-sādhus, mitfühlende Heilige. Die Anweisungen solcher Personen allein - und von niemandem sonst - können wahrhaftig frei von jeder Spur von Täuschung sein, denn sie unterweisen, wie man dem ewigen dharma folgen kann.

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2021
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