Das Ergebnis der Nachahmung

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(Ein Artikel aus dem Buch "Visuddha Caitanya Vani" von Srila Bhakti Vijnana Bharati Gosvami Maharaj)

Den Gottgeweihten von Bhagavān nachzuahmen, führt nur zum Verlust der Barmherzigkeit des Höchsten Herrn, selbst wenn man die Absicht hat, die Gunst des Herrn zu erlangen. Um uns für den Empfang Seiner Gnade zu qualifizieren, müssen wir den Fußspuren Seiner liebsten Gottgeweihten folgen (anusaraṇa) und uns stets von ihren inneren Gemütsstimmungen (pravṛtti) und ihrem persönlichen Verhalten leiten lassen. Die bloße Nachahmung ihrer äußeren Handlungen wird nicht ausreichen.

Wir möchten das mit einer Geschichte verdeutlichen

Ein Mann ernährte seine Familie, indem er trockenes Holz aus dem Dschungel schlug und verkaufte. Eines Tages sah er einen trockenen Baum am Ufer eines Flusses und begann, den Baum zu fällen. Kurz nachdem er begonnen hatte, glitt ihm die Axt aus den Händen und flog in den tiefen Fluss. Mit schwerem Herzen dachte er: „Ich bin in großer Not. Meine Axt ist nun verloren, und da ich kein Holz verkaufen kann, kann ich keinen Reis, Dahl und andere lebensnotwendigen Dinge für meine Familie einkaufen. Wie kann ich mit leeren Händen nach Hause gehen?" Da ihm keine Lösung in den Sinn kam, begann er zu weinen.

Als der Halbgott des Wassers, Śrī Varuṇa-deva, sein klägliches Weinen hörte, tauchte er aus dem Fluss auf und fragte den Holzfäller nach dem Grund für seine Tränen.

Der Holzfäller antwortete: „Ich dachte, wenn ich diesen großen Baum fällen und sein Holz verkaufen würde, könnte ich meine Familie viele Tage lang bequem ernähren. Aber ich wurde von Gier überwältigt, und diese verunreinigten Gedanken führten zu meinem großen Unglück. Das Ergebnis war, dass mir mein einziger Reichtum - meine Axt - aus den Händen glitt und in diesen tiefen Fluss flog. Wegen seiner starken Strömung bin ich nicht in der Lage in dem tiefen Wasser meine Axt zu bergen. Jetzt habe ich Angst, nach Hause zu gehen, denn meine Kinder werden vor Hunger weinen. Ich sehe keinen Ausweg aus meinem Elend."

Nachdem Varuṇa-deva ihn angehört hatte, tauchte er in das Wasser ein und kam mit einer goldenen Axt in der einen und einer silbernen Axt in der anderen Hand wieder zum Vorschein. Er fragte den Holzfäller, ob eine der beiden Äxte ihm gehöre. Der Holzfäller antwortete: „Oh Deva, keine von beiden gehört mir. Wie könnte ich mir solche Äxte leisten? Ich habe zu Hause nicht einmal genug zu essen, um meine Kinder zu ernähren, wie könnte ich also jemals Äxte aus Gold oder Silber besitzen?"

Varuṇa-deva tauchte daraufhin wieder in das Wasser ein und erschien mit einer goldenen Axt in der einen und der eisernen Axt des Holzfällers in der anderen Hand. Er fragte den Holzfäller erneut, ob eine der beiden Äxte ihm gehöre. Der Holzfäller antwortete: „Die eiserne Axt gehörte früher mir, aber weil sie in deinen Händen ist, gehört sie jetzt dir. Wenn du mir gnädiger Weise meine Axt zurückgibst, dann könnte ich Holz schlagen und verkaufen und meine Familie mit dem Nötigsten versorgen."

Varuṇa-deva war sehr erfreut über das Verhalten des Holzfällers - der, obwohl er arm und bedürftig war, ein aufrichtiger und ehrlicher Anhänger des dharma-Pfades blieb - und schenkte ihm alle drei Äxte: Die goldene Axt, die silberne Axt und die eiserne Axt. Er sagte zu dem Holzfäller: „Da es schon spät ist, brauchst du heute kein Holz mehr  schlagen und es verkaufen. Geh zu einem Juwelier, verkaufe einen Teil des Goldes und des Silbers dieser Äxte, kaufe Reis, Dahl, Salz und alles, was deine Familie sonst noch braucht, und nimm es dann schnell mit nach Hause. Aber erzähle niemandem was sich heute hier zugetragen hat."

Nachdem der Holzfäller den Anweisungen von Varuṇa-deva gefolgt war, kehrte er mit allen notwendigen Dingen nach Hause zurück. Seine Familie freute sich sehr darüber. Der Holzfäller konnte seine Familie etwa zwei Monate lang ernähren, indem er nur einen kleinen Teil der wertvollen Äxte verkaufte.

Immer wenn die Frau des Holzfällers zu einem nahen gelegenen Teich ging, um Töpfe zu waschen, begegnete sie dort den Frauen aus der Nachbarschaft und unterhielt sich mit ihnen. Eines Tages sagte eine Nachbarin zu ihr: „Wir haben festgestellt, dass dein Mann nicht mehr in den Dschungel geht, um Holz zu schlagen, aber deine Familie hat genug zu essen und führt ein gutes Leben. Es scheint auch, dass du viele Sachen für den Haushalt kaufst. Wie ist das möglich? Habt Ihr jetzt eine andere Einnahmequelle?"

Obwohl der Holzfäller seiner Frau ausdrücklich gesagt hatte, dass Varuṇa-deva ihn die Anweisung gegeben hatte, niemandem das Geheimnis seiner Gabe zu verraten, konnte sie nicht widerstehen, es der Frau des Nachbarn zu erzählen. Nachdem sie das Geheimnis ihres Mannes preisgegeben hatte, sagte sie der Nachbarsfrau, sie solle dieses Geheimnis niemandem verraten, denn ihr Mann wäre wütend, wenn er wüsste, dass sie seine Bitte, es niemandem zu verraten, ignoriert hatte. Die Frau des Nachbarn konnte jedoch nicht an sich halten, ihrem Mann, der ebenfalls Holzfäller war, von diesem außergewöhnlichen Ereignis zu erzählen.

Nachdem der benachbarte Holzfäller von Varuṇa-devas Barmherzigkeit gehört hatte, stand er am nächsten Morgen sehr früh auf und ging schnell mit seiner Axt zu demselben Fluss. Dort tat er so, als ob er sich anstrengen würde, den trockenen Baum zu fällen, und warf dann absichtlich seine Axt in den Fluss, wobei er so tat, als ob er laut weinen würde. Als Varuṇa-deva sein Weinen hörte, tauchte er aus dem Wasser auf und erkundigte sich nach dem Grund für sein Weinen. Nachdem er alles von ihm gehört hatte, tauchte Varuṇa-deva in das Wasser ein und als er wieder herauskam, hielt er eine silberne und eine eiserne Axt in seinen Händen. Dann fragte er den Holzfäller, ob eine der beiden Äxte ihm gehöre. Der Holzfäller gab an, dass die silberne Axt ihm gehöre.

Varuṇa-deva tauchte daraufhin wieder ins Wasser ein und erschien mit der eisernen und der goldenen Axt. Er fragte den Holzfäller erneut, ob eine der beiden Äxte ihm gehöre. Der Holzfäller gab an, dass die goldene Axt ihm gehöre. Als Varuna-deva die betrügerischen Worte des Holzfällers hörte, verschwand er im Wasser, nahm die goldene Axt, die silberne Axt und sogar die eiserne Axt des Holzfällers mit und kehrte nie wieder zurück

Der erste Holzfäller war einfach, ehrlich, wahrhaftig, und ein aufrechter Anhänger des dharma-Pfades, und als Ergebnis erhielt er die Gnade von Varuṇa-deva, der ihm nicht nur seine eigene eiserne Axt, sondern auch die goldene und silberne Axt gab. Der zweite Holzfäller war ein unehrlicher, doppelzüngiger und verlogener Betrüger, der den Pfad des dharma nicht folgte. Obwohl er oberflächlich das gleiche tat wie der erste Holzfäller, wurde er aufgrund seines Verhaltens nicht nur der Barmherzigkeit Varuṇa-devas beraubt, sondern auch seiner eigenen eisernen Axt - sein einziger Reichtum.

In gleicher Weise hat ein Mensch, der aufrichtig ist, nicht den Wunsch, dharma (Religiosität), artha (Reichtum), kāma (Sinnesbefriedigung) und mokṣa (Befreiung) zu erlangen, sondern nur das Verlangen, Bhagavān reinen, liebevollen hingebungsvollen Dienst darzubringen. So wird er zum Empfänger Seiner göttlichen Gnade, und  sein Leben wird erfolgreich. Wer dagegen äußerlich den gleichen Dienst wie die Gottgeweihten leistet, im Herzen aber doppelzüngig bleibt und innerlich den Wunsch hegt, dharma, artha, kāma und mokṣa zu erlangen, wird der wahren Barmherzigkeit Bhagavāns beraubt.

Ein Mensch, der dieselben Glieder des bhakti – wie z.B. śravaṇa und kīrtana folgt, so wie es die reinen Gottgeweihten tun, aber nur oberflächlich, ohne deren innere Gemütsstimmungen zu folgen, die dem aufrichtigen Dienen innewohnen, dann erschließt sich ihm weder der wahre Nutzen noch die tiefe Bedeutung der Schriften, wie sie von śrī guru und Vaiṣṇavas beschrieben werden, so mit manifestiert sich die Essenz ihrer göttlichen Anweisungen nicht in seinem Herzen.

Außerdem verliert er das Gleichgewicht seines zuvor angesammelten sukṛti (spirituelle fromme Aktivitäten). Indem er śravaṇa, kīrtana und die anderen Glieder des bhakti mit einer Mentalität von Vergehen ausführt, erlangt er nur Objekte des materiellen Genusses, und macht dadurch sein Leben noch elender als zuvor.

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