Innere Ehrlichkeit

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Liebe Hella,

[...] Es scheint – wie überhaupt in der praktischen Gestaltung jeder Religion –, das Wichtigste an einem religiösen Leben vergessen zu werden – man muss ein ganz gerader, ehrlicher Mensch erstmal werden – wenn man es noch nicht ist – unverkrümmt, unverbogen und ganz gerade sein – diese innerliche Ehrlichkeit ist es, die das eigentliche Echte in einer Religion wachsen und gedeihen lässt – und solange diese innere Ehrlichkeit da ist, haben wir „klassische“ Religion – ein volles „Ja“ zu sich selbst mit allen Konsequenzen, sei man ein gerechter, rechter Bürger, ein Verbrecher oder ein Heiliger – dies ist die einzige Grundlage, auf der ein Mensch sich selbst lebt und sein eigenes Leben dann wirklich Gott darbringen kann. Wo der innere Mut, das ehrliche, freie Wagen fehlt, muss von vornherein die ganze religiöse Entwicklung in einem bösen „Sich-Verkrümeln“-Wollen, einem hässlichen „escapism“ enden – in seelischen Verwachsungen – und das ist der eigentliche Verfall, dem die einzelnen und die Kirchen, die Sekten und religiösen Organisationen im Westen wie im Osten rettungslos verfallen sind.

Ich habe mich oft gefragt, wie vieler harter Schicksalsschläge es wohl bedarf, um einen irrenden, sich selbst nicht fühlenden Menschen auf den rechten Weg, also zu sich selbst zu bringen – und muss leider gestehen, dass die meisten wie die „Steh-auf-Männchen“ sind, mit denen wir als Kinder spielten – und so ist es mit der Masse genau so – die großen Verfolgungen haben den Kirchen in keinerlei Weise geholfen, zu sich selbst zurück zu finden. Noch viel schlimmer ist es im Osten – hier ist das „Demütiger als ein Grashalm“ eine bloße Schwäche geworden; schon ehe ein Schicksalsschlag einsetzt und eine „Verfolgung“, ist bereits die „Kraft“ (?) ausgegeben, verbraucht und das Feuerwerk im Himmel verpufft.

Verehrte Hella, Sie werden sich wundern, warum ich einen solchen Brief schreibe. Nun der Grund ist ganz leicht zu entdecken – mir will scheinen, dass es wohl besser gewesen wäre, von Anfang an nur objektiv darzustellen, was die vedische Religion und die Bhakti eigentlich sind und wollen, ohne dem Hörer und Leser gegenüber sich als ein Anhänger dieses Kultus zu enthüllen und damit gezwungen zu sein – mehr oder weniger –, sich vor den Menschen anderer Weltanschauungen und Religionen rechtfertigen zu müssen – und ohne sie zur Annahme eines neuen Kultes verleiten oder dazu überzeugen zu wollen.

Der klassische Buddhismus zum Beispiel ist im Westen zuerst so dargestellt worden, (als sich buddhistische Gruppen bildeten, ging es schon schief) und ganz unpersönliche Darstellungen dieser Lehren hat vielen im Westen geholfen, ehrlich den Buddha zu verehren, zu lieben, ohne daraus, nach außen hin, einen neuen Kult zu machen, ohne nach außen einen dramatischen Glaubenswechsel, ein „Umsteigen“. Dort wo versucht wurde, den Osten in der „Form“ westlicher Philosophie oder Vergleichen mit christlicher Theologie etc. dem Westen nahe zu bringen (Otto, Deussen, Dr. Radhakrishnan), ist alles schief gegangen. Ich weiß nicht, ob ich klar bin – ich meine, man darf sich persönlich, sein eigenes Erleben, Fühlen etc. nicht in die Darstellung der Dinge hineinbringen und damit den Hörer und Leser mehr oder weniger nötigen, sich selbst für eine gute Zeitspanne wenigstens, ebenso draußen zu lassen. Das heißt nicht, dass man leblos, intellektuell sein soll; man soll nur die Sache selbst darstellen, und keineswegs sich selbst – so etwa wie Shukadeva es im Ideale tut, der nur ganz selten sich deutlich verrät (nur der Rasika spürt, wo Shukadeva eben ist); Darstellungen, weniger Geständnisse. Ebenso muss der Hörer/Leser ganz draußen bleiben, subjektiv, ehe er von selbst (ohne genötigt zu werden, subjektiv) hereinkommt. Ich glaube, es muss ein Desaster werden, wenn man versucht, dem Westen etwa den Osten oder Indien, nahe zu bringen; man soll das Ewige und damit zuerst das ganz Menschliche überhaupt, dem Westen wie dem Osten darbringen. [...].

Haben Sie Krishnas Segen in Ihrem Herzen und Kraft, derer wir alle so bedürfen.

Immer Sadananda

(Brief von Sadananda an Hella am 6. Mai 1958 © Kid Samuelsson 2010 Zuletzt geändert 2010)

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